The Blue Diamond

Bonuskapitel - Der Alltag

"Mein Traum ist es, einen Laden zu eröffnen, in dem alle ihre Sorgen los werden können!"

Bereits im zarten Alter von fünfzehn Jahren hatte sich Sōsuke dieses Ziel gesetzt. Damals war er noch Mittelschüler und hatte noch nicht viel Ahnung vom Arbeitsleben, hielt aber an diesem Traum fest.


Heute, etwa zwanzig Jahre später, gehörte das Blue Diamond zum festen Bestandteil der Innenstadt Tokyos.

Doch das war nicht immer so.

In den ersten Jahren war es für Sōsuke nicht leicht gewesen. Ein Konzept wie das Seinige hatte es zuvor noch nicht gegeben. Die Kunden waren skeptisch gegenüber dem Neuen. Entmutigen ließ sich der junge Mann davon allerdings nicht. Mitunter auch, weil er stets Hilfe an seiner Seite hatte: Tamanosuke, Keisuke und Akira - Freunde, die er zur Schulzeit kennenlernte.

Sein Optimismus und seine Ausdauer zahlten sich schließlich aus.

Dass sein Traum einmal einen solchen Erfolg verbuchen würde, hätte sich Sōsuke nie zu träumen gewagt.

Und das trotz aller Schwierigkeiten, die sich ihm in den Weg stellten...



Das Wohl des Kunden steht an erster Stelle.


So das Motto des Blue Diamond.

Für Sōsuke Kitahara, 36, war es seit vielen Jahren mehr als ein Motto. Nachdem seine Mutter die Familie verlassen hatte und er die Einsamkeit seines Vaters mitansehen musste, stand eines für ihn fest: Er wollte den Menschen einen Teil ihres Glücks zurückbringen.
Lange Zeit grübelte er darüber nach, wie er das anstellen könnte. Mit fünfzehn Jahren schließlich hatte er einen Einfall: ein Ort, an dem sich jeder seine Sorgen von der Seele reden konnte.


In der Oberschule fand er Freunde, die ihn sofort bei seiner Idee unterstützen wollten. Und nach geraumer Zeit war schließlich das Blue Diamond geboren. Mittlerweile hatte der Laden nicht mehr nur die sogenannten Beraterräume - auch ein Restaurant und einen Wellnessbereich gab es. Trotz dessen blieben natürlich die Gespräche das Hauptaugenmerk.


"Wenn man sich zu sehr auf etwas versteift, bewirkt das meist nur das Gegenteil." Ruhig sprach Usagi Etō mit seiner Kundin und lehnte sich etwas zurück.
Die etwas ältere Dame überlegte kurz. "Wahrscheinlich haben Sie recht, Etō-san." Sie lächelte ihr Gegenüber freundlich an. "Ich sollte es erst einmal langsam angehen. Danke."
"Immer wieder gerne, Utsunomiya-san", erwiderte Usagi lächelnd und stand auf. Langsam ging er um den kleinen Tisch, der sich in ihrer Mitte befand, herum und reichte der Frau die Hand, um ihr aufzuhelfen.
"Vielen Dank, Etō-san."
Usagi begleitete seine Kundin zur Tür und verabschiedete sich mit einer leichten Verbeugung von ihr. "Beehren Sie uns bald wieder", gab er noch zu verstehen und lächelte.
Sie nickte lächelnd und wandte sich anschließend an die Rezeption.
Einen Moment noch blieb Usagi am Rahmen gelehnt stehen und überblickte die Lobby. "Es hat sich wirklich viel getan seit damals", murmelte er leise vor sich hin. Usagi war als einer der Ersten im Blue Diamond angestellt worden. Er hatte die Stellenausschreibung in einer kleinen Zeitung gesehen und sich spontan beworben. Fast zehn Jahre waren seitdem vergangen.
"Etō-san? Alles okay?", fragte ein Mann mit schwarzen Haaren und Kinnbart und trat an den ebenfalls Schwarzhaarigen heran.
"Hallo Chef. Ja, alles okay. Frau Utsunomiya ist wirklich eine reizende Person." Er grinste dabei.
Sōsuke nickte den Worten seines Mitarbeiters zustimmend zu. "Ja. Sie gehört praktisch zu unseren Stammkunden."
"Schön, schön." Usagi freute das. Er mochte es, sich mit älteren Menschen zu unterhalten.
"Und Sie haben gerade Pause?"
"Nur kurz", bestätigte Usagi die Aussage.
"Tama hat gerade frischen Kaffee aufgesetzt. Holen Sie sich doch eine Tasse", bot Sōsuke an und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
"Das hört sich gut an", gab der etwas Jüngere zu verstehen und schloss die noch offen stehende Tür hinter sich.
"Ich muss dann auch weiter, Etō-san. Kommen Sie zu unserem Firmenausflug dieses Jahr?"
Usagi überlegte kurz, ehe er antwortete: "Wenn nichts dazwischenkommt, ja."
"Das freut mich zu hören. Also, bis später."
"Ja."


Während sich Usagi bei Tamanosuke Michida, dem Küchenchef und Freund Sōsuke's, eine Tasse Kaffee holte, machte sich Sōsuke auf den Weg ins Büro. Er steig die Treppe am Ende des Gangs hinauf und betrat anschließend das nur zwei Schritte entfernte Zimmer. Kurz klopfte er an der Tür an, trat aber gleich ein.
"Entschuldige die Verspätung, Akira!" Der 36-Jährige lächelte entschuldigend und kratzte sich am Hinterkopf.
"Du solltest öfter auf die Uhr sehen, Sōsuke-san", entgegnete ihm Akira Ikehara, der sich um die Steuern kümmerte. Zudem war er seit der Oberstufe mit dem Älteren befreundet - war aber ein knappes Jahr jünger.
"Ich weiß", murmelte Sōsuke leise und setzte sich auf den freien Chefsessel. "Aber jetzt bin ich ja da."
"Ja." Für einen kurzen Moment wandte der Akira seinem Freund den Rücken zu. "Würdest du dir das bitte ansehen?" Er reichte ihm ein paar Blätter Papier, auf denen viele Zahlen zu sehen waren.
"Und...?", kam es fragend von Sōsuke.
"Vielleicht hast du es ja mitbekommen. Vor kurzem wurde die Steuer wieder erhöht. Das, was du da siehst, ist der bisherige Umsatz."
"Ist das nicht eher Keis Abteilung?"
Keisuke Fujii war Buchhalter und ebenfalls ein Freund aus Jugendtagen.
"Von ihm habe ich die Zahlen", erklärte Akira. "Er meinte, ich solle mir das ansehen und dich dann fragen, ob du die Preise nicht doch angleichen willst?"
"Ah, das meint ihr." Gründlich ging Sōsuke die Unterlagen durch, legte sie dann beiseite und sah Akira an. "Nein. Wir lassen es so. Unsere Kundschaft ist mit den Preisen vertraut. Sollte sich wirklich eine Verschlechterung bemerkbar machen, können wir immer noch eingreifen." Er lächelte dabei zufrieden.
Sōsuke lag mehr an den Kunden und dessen Wohl, als am Gewinn. Einer der Gründe, warum ihn seine Mitarbeiter so schätzten. "Aber sag mal. Das hätte Kei mir auch persönlich sagen können."
"Mir hat er gesagt, dass er einen Kurztrip geplant hat. Deswegen ist er wohl früher gegangen."
"Das ist typisch für ihn. Aber gut. Den Urlaub hat er sich verdient. Gibt es sonst noch etwas, Akira?"
Akira rückte seine Brille zurecht und überflog kurz seinen Schreibtisch. "Nein. Im Moment nicht."
"Gut. Kommst du denn dieses Mal mit zum Firmenausflug? So langsam dürfte das doch kein Problem mehr sein, oder?"
In seiner Jugendzeit litt Akira an einer posttraumatischem Belastunsstörung. Dieser war es zu verdanken gewesen, dass er menschliche Nähe vermieden hatte. Da er schon vor einiger Zeit aber davon kuriert wurde - Hilfe hatte er auch von seinen Freunden bekommen -, sollte nun nichts mehr im Wege stehen. So hoffte Sōsuke zumindest.
Lange schwieg Akira. "Ich werde darüber nachdenken."
"Komm doch einfach mit!", forderte der Ältere und sah ihn eindringlich an.
Zögerlich lächelte Akira. "Wenn du meinst..."
"Also abgemacht? Du kommst mit?"
"Sōsuke-san..."
"Ist schon gut. Ich hör ja schon auf. Dann mach ich jetzt noch meine Runde. Wenn was ist, kannst du mich anrufen." Er stand vom Sessel auf, verabschiedete sich winkend und verließ das Büro.


Währenddessen genoss in der Küche des hauseigenen Restaurant Usagi einen frisch gebrühten Kaffee.
"Heute scheint nicht so viel los zu sein, was?", fragte Usagi in die Runde - bestehend aus der Küchencrew und seiner Kollegin Fumiko Senbai.
"Das könnte daran liegen, dass heute Dienstag ist, Etō-san", gab sie schnippisch wieder.
Er sah sie daraufhin verblüfft an. "Mag sein, ja..." Usagi trank seine Tasse aus, stellte sie in den Geschirrkorb und begab sich zur Tür. "Ich muss weiter. Man sieht sich." Fumiko sah ihm nach, ehe sie ihre Tasse Kaffee ebenfalls leerte und wegstellte. Sie machte sich dann auch auf den Rückweg; zurück zu ihrem Arbeitsplatz, der ebenfalls ein Beraterraum war. Der nächste Kunde wartete bereits.
"Guten Abend, Senbai-san", grüßte der ältere Mann freundlich und verbeugte sich leicht.
"Guten Abend, Takei-san. Schön Sie mal wieder zu sehen." Fumiko schritt ruhig an ihm vorbei und öffnete die hölzerne Tür. "Treten Sie doch ein."
"Herzlich gern." Der Mann ging an Fumiko vorbei und nahm auf der beigen Couch platz.
"Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?"
"Wenn es Ihnen keine Umstände macht, ein Glas Wasser."
"Gern." Sie trat an die kleine Vitrine, die im hinteren Eck stand, heran und holte eine kleine Flasche Wasser aus dieser. Das Wasser füllte sie anschließend in ein Glas um und stellte es vor Herrn Takei auf den Tisch. "Bitte sehr."
"Vielen Dank." Er lächelte, nahm das Glas und nippte kurz daran.
"Also", begann Fumiko und setzte sich ihrem Gast gegenüber hin. "Worüber wollen Sie heute reden?"
Der Mann stellte das Glas wieder hin und lehnte sich etwas zurück. "Ach, Senbai-san. Meine Frau, wissen Sie? Sie versteht einfach nicht, warum ich meinen Beruf noch nicht aufgeben möchte." "Haben Sie ihr Ihren Standpunkt klar aufgezeigt?"
"Sicher. Ich habe alles versucht, aber sie will nicht auf mich hören..." Er seufzte leise.
"Hm, verstehe. Schwierige Situation", murmelte Fumiko.
Takei nickte und nahm noch einen Schluck.
"Ich würde vorschlagen, dass Sie ihr einfach zeigen sollten, warum Ihnen ihr Beruf so wichtig ist. Vielleicht kann sie es nur nicht nachvollziehen?"
Der Mann sah auf, lächelte. "Das klingt gut. Einen Versuch ist es Wert. Danke Ihnen, Senbai-san!"
Fumiko lächelte freundlich zurück. "Ich drücke Ihnen die Daumen. Und wie geht es Ihren Kindern?"
Takei überlegte kurz, ehe er wieder zu sprechen begann: "Mein Sohn hat vor kurzem die Uni abgeschlossen und ist nun auf Arbeitssuche. Da er aber gerade eine Freundin hat, fürchte ich, wird es noch etwas dauern, bis er etwas findet, bei dem er auch bleiben wird...", sagte er mit Bedauern in der Stimme. "Aber es gibt auch gute Neuigkeiten! Meine älteste Tochter hat vor zwei Wochen ein Töchterchen bekommen." Er strahlte übers ganze Gesicht, als er seine Brieftasche aus seiner Tasche nahm und Fumiko die Bilder des Mädchens zeigte.
"Nein, wie süß!", rief sie aus und bekam glänzende Augen. "So ein hübsches Baby. Wie heißt sie denn?"
"Sakura. Sie hat so niedliche rosa Wangen, sehen Sie?"
Fumiko sah sich das Bild noch einmal genauer an. "Tatsächlich. Der Name passt zu ihr." Mit einem frohen Lächeln gab sie ihm das Foto zurück.
"Morgen werde ich sie wieder besuchen", erzählte er heiter. Man sah ihm das neu gewonnene Glück an. Eine kurze Weile blieb Takei noch, brach dann aber auch auf - schließlich musste er am nächsten Morgen ausgeruht sein.


Eine "Sitzung" dauerte in der Regel etwa eine Stunde. Natürlich konnte man auch mehr Zeit reservieren. Dank Terminen und festen Zeiten gab es nur selten Überschneidungen und die Berater konnten sich vorbereiten. Damit die Gäste aber nicht allzu lange warten mussten, standen im Hauptgeschäft sechs Betreuer zur Verfügung. Dank des reichhaltigen Angebots kam es bislang nur selten zu Wartezeiten, was nicht nur den Kunden zu Gute kam.

Sōsuke hatte es sich, nachdem er bei Akira gewesen war, im hinteren Eck des Restaurants gemütlich gemacht. Vor sich hatte er ein kleines Glas Bier stehen. Er trank nicht oft und wenn, dann auch nicht viel, aber hin und wieder gönnte er sich gerne etwas. Das Bier war aber nicht das Einzige, das vor ihm lag. Ein paar Blätter Papier lagen ausgebreitet auf dem Tisch und warteten darauf, angesehen zu werden. Zu sehen waren Fotos, Daten und Beschreibungstexte - Bewerbungsunterlagen.

Für die Filiale in Shinjuku musste Sōsuke jemand Neues einstellen. Die Entscheidung jedoch fiel ihm auch dieses Mal nicht einfach.


Nachdem er sich schlussendlich für eine junge Frau entschieden hatte, lehnte sich Sōsuke zurück und schloss die Augen. Wenn er Bewerbungen vor sich hatte, kam er nicht drumherum an die eigene Anfangszeit zu denken.


Er erinnerte sich noch genau.
Alles Begann bereits in der Mittelstufe.
Und mit dieser diese Geschichte.

Kurzinfo

Dieses kurze Kapitel ist nicht im Roman enthalten und nur hier zu finden.

Viel Spaß bei diesem Einblick in den Alltag unseres Protagonisten.